Portrait Ingeborg Poffet Cling-Klong

Cling Klong

Leitartikel im Sommer 2002, Nr.48, Jubiläumsausgabe
Portrait Ingeborg Poffet

NEXT GENERATION

Musikalisches Kontrastprogramm: Kettensägen und Akkordeon Die Improvisatorin, Performerin und Komponistin Ingeborg Poffet

Von Christina Omlin

Pflegeleicht war sie nie – auch nicht als musikalisches Wunderkind. Ingeborg Poffet verfolgt kompromisslos ihre Vorstellungen von Musik. Diese reichen von klassischer indischer Musik über contemporary jazz bis zu zeitgenössischen Klanglandschaften und eigenwilligen Performances.

Wir treffen uns im indischen Imbiss in ihrer Strasse. Kurz nach dem ersten Wahlgang in Frankreich, in dem der Rechtspopulistische Le Pen den Sozialisten Jospin aus dem Rennen zur Präsidentschaftswahl geworfen hat. Und ich frage Ingeborg Poffet, die ihr Arbeitshaus im Elsass hat, ob ihre Musik denn auch eine politische Aussage mache. Natürlich, lautet die prompte Antwort. Auch wenn es keine explizite Botschaft in Poffets Musik gibt, die Akkordeonistin, Performerin und Komponistin ist keine Musikerin im Elfenbeinturm. „Ich gehe mit offenen Augen durch die Welt, und das beeinflusst auch meine Musik.“ Etwas anderes kann man sich bei Ingeborg Poffet auch gar nicht vorstellen. Sie gestikuliert mit den Armen, während sie enthusiastisch von ihren neusten Projekten berichtet. Zum Beispiel von „wood’nt“, einer Performance mit Kontrabass, Bassklarinette, Kettensäge und Elektronik, einer Show mit Licht und Holz, in deren Verlauf aus einer rohen Holzplatte eine Schrift herausgesägt wird. Poffet liebt es, ungewöhnliche Materialien miteinander zu konfrontieren. Und sie liebt in der Musik Kontraste. Dass ihre Auftritte oft auch eine visuelle Komponente einbauen, ist für sie selbstverständlich. Poffet sieht Farben, wenn sie Musik hört. Und sie ist eine ganzheitliche Musikerin in dem Sinn, dass sie vom reinen Interpretieren schon früh weggekommen ist. Sie komponiert und spielt ihre eigene Musik, in der immer auch eine gute Portion Improvisation ihren Platz hat. Als Kind hat sie bereits auf dem Akkordeon improvisiert, ziemlich schräg, wohl eine Art Jazz, meint Poffet rückblickend. In der Bauernfamilie, in der sie aufwuchs, hatte dafür niemand Gehör. Sie tingelte als Wunderkind durch die deutschen Dörfer ihrer Umgebung, ratterte Strauss-Walzer auf und ab. Mit 11 nahm sie heimlich an einem Musikwettbewerb teil, und erhielt prompt einen Sonderpreis zugesprochen, dem später zahlreiche 1.Preise folgten (Zuletzt Prix-Marguerite-de-Reding 2001). Richtig wohlgefühlt hat sie sich aber erst, als sie sich kurz darauf professionell mit zeitgenössischer Akkordeonmusik auseinanderzusetzen begann – in einer Zeit als das Akkordeon als Hauptfach an den Musikhochschulen noch nicht richtig wahrgenommen wurde. Poffet ist eine „Frühzünderin“: mit 17 Jahren hat sie ihre musikalische Ausbildung auf Solistinnenniveau – jedoch ohne Diplom – abgeschlossen.

Duo Fatale
Mit JOPO hat sie dann ihr musikalisches Äquivalent gefunden. Der Basler Saxophonist und Bassklarinettist ist Teil der zeitgenössischen Schweizer Jazz-Szene. Seit 1989 touren die beiden als „Duo fatale“ in der ganzen Welt und spielen ausschliesslich Eigenkompositionen. Ihr Duo erweitern sie in alle Himmelsrichtungen, sowohl im Einbezug anderer Künste, aber auch geografisch und stilistisch. So sind sie seit über 10 Jahren – um nur ein Beispiel zu nennen – in regelmässigem Austausch mit klassischen indischen Musikern und realisieren wiederholt Projekte vor Ort in Indien, mit denen sie dann auch in der Schweiz oder in Deutschland auftreten – inzwischen in der festen Formation „JAISH“. Und wie aus heiterem Himmel singt Ingeborg Poffet eines jener komplizierten rhythmischen Muster vor, die die klassische indische Musik prägen. Keine Frage, Poffet hat eine unglaublich schnelle, musikalische Auffassungsgabe. Das spontane Entstehen von Musik liegt ihr und sie sprüht förmlich vor Energie für ihre unterschiedliche musikalische Arbeit. Sie erzählt von einem Festival in Odessa, bei dem eine spontane Studiosession mit einem ukrainischen Radiomann entstanden sei. Sergej Klein kam mit seinen Samples und CDs im Januar nach Basel. Das Duo Fatale mischte zu den russischen Sprachfetzen, Chören und Dub-Platten des DJs ihre Live-Elektronik bei, Ingeborg zusätzlich ihre variablen Gesänge, in denen Jodel ebenso Platz finden wie arabische angehauchte Motive – Weltmusik

Himalaya-Bilder
Auch ihre Kompositionen tragen etwas von diesen spontanen Impulsen in sich – zumindest im Entstehungsprozess. Die Partitur zu „Himalaya-Tasviren“, einem Werk für individuelles Sinfonieorchester mit 54 Einzelstimmen ist in drei Sätzen zu einer Suite geformt. Die Sätze sind jeweils im Zeitraum von zwei, drei Tagen entstanden. „Ich höre die Musik schon lange in mir, trage sie mit mir herum, bis sie ausgreift ist“, meint Poffet, „und dann muss ich sie nur noch niederschreiben.“ Der erste Satz beginnt mit einer Flammenentzündung, die von einem Bläserquintett ausgehend das ganze Orchester erfasst. Darauf folgt ein zweiter, ausgeprägt rhythmischer Teil, der in einem rasanten Tempo gipfelt, in dem das Orchester den Handzeichnungen des Dirigenten folgt. Der erste Satz endet in wohltuender Harmonie.
Zu den Himalaya-Bildern hatte sie eine multimediale Vision, deren musikalische und visuelle Umsetzung sie als ihr Lebenswerk ansieht. (Die Vision für mein „Lebenswerk“, die Glaskuppel, in der Gefühle via Musik und Hologramme erfahrbar werden hatte ich bereits mit 17 Jahren. Im Himalaya hatte ich eine weitere, in der ich Bilder der Musik sah, die durchs Orchester glitten, und ähnlich dieser „Lebenswerkvision“ im optimalen Fall mit Licht/Laser/Hologrammen, Monitoren und Computern ergänzt würden.) Die Orchestersuite ist ein erster Schritt darauf zu: Die Umsetzung dieser multimedialen Vision auf den Klangkörper Orchester. Die Musik für die 54 oder in doppelter Besetzung für 108 MusikerInnen ist so konzipiert, dass räumliche Aktionen durch das Orchester gezeichnet werden. Poffet bezeichnet es als Musik für offenen Augen, ihr Ziel: „Ich will Gefühle sichtbar machen“.

Biografie
Ingeborg Poffet, geboren 1965 begann schon früh verschiedene Instrumente zu spielen seit ihrem 4. Lebensjahr spielt sie Konzerte auf dem Akkordeon, als Solistin in klassischer und zeitgenössischen Musik. Ausbildung auf dem Konzert-Akkordeon bei Hugo Noth, Mie Miki-Schenk, Guido Wagner, Elisabeth Moser, etc. Studierte Computermusic bei Clarenz Barlow an der Musikhochschule Köln Kompositionsaufträge für Theater. unterrichtet Akkordeon und leitet Gehörbildungskurse in der Musikwerkstatt Basel. Spielt Konzerte mit dem Duo Fatale (mit JOPO as, bcl), Trio Fatale Vision, JAISH, KABA-Quartett, etc. regelmässige internationale Begegnungen mit MusikerInnen im Bereich Avantgarde, Ethno, Jazz, Rock, etc. und spezielle Projekte (Rete-Résaux-Vernetzungen, Frontières, Behinderten-Orchester, etc.)

Ingeborg Poffet
Güterstr. 213
4053 Basel
Tel/Fax: ++41 (0)61 361 56 70
E-mail: poffet-poffet at bluewin.ch

Werke Auswahl
„Himalaya-Tasviren“ für (individuelles und umplatziertes) Sinfonieorchester, 2001
„Supply – dp why“ und „Berastagi“ für Saxophon, Klarinette, Akkordeon, Stimme, Bass, Schlagzeug, 2001
„Khela ke Pas“ und „Jod Paran“ für Altsaxophon, Akkordeon, Stimme, 2000
„Suniye“ für gemischten Chor a capella, 1999
„Kara“ für Sarangi, Altsaxophon, Akkordoen, Stimme, Pakhavaj oder für Altsaxophon, Akkordeon und Stimme, 1997
“Blauhelme im Röstigraben“: diverse Kompositionen für Saxophon, Klarinette, Akkordeon, Stimme, 1996
„Casa Obscura“: diverse Kompositionen für Saxophone, Klarinetten, Akkordoen, Stimme, Keyboard, Bass, Trommeln, Gong, Tanpura, Shenai, Nadaswaran, Manjira, Piano, Anklung, Glocken, Flöte

Diskografie Auswahl
KABA-Quartett „Kabalesque“ Xopf Records / stv/asm
JOPO & Ingeborg Poffet „Indian Book“, Xopf-Records
City/6tett „Town steps“, Xopf-Records
JAISH „Return to Bombay“, Xopf-Records
Duo Fatale „Fatalos 2“, Xopf-Records